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Ist Langeweile besser als ihr Ruf?

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Zitat Matt Ridley Innovation

Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber Langeweile ist etwas, das ich selbst nur noch selten erlebe. Doch in den letzten Tagen vor der Geburt unseres zweiten Kindes erwischt es mich immer häufiger. Alles ist fertig und meine Tochter im Urlaub bei den Großeltern. Was sich am ersten Tag noch wie mein früheres Studentenleben anfühlte, wich schnell einer Ratlosigkeit, was man mit einem Sonntag so ganz ohne gewohnte Strukturen eigentlich anstellen sollte. Ich muss gestehen: Mir wurde richtig langweilig und das ist ein Gefühl, von dem ich gedacht hätte, dass es nicht in mein Leben passt. Ein schöner Grund also sich einfach mal genauer damit zu beschäftigen.

In diesem Artikel zeige ich dir, was bei Langeweile mit deinem Körper macht, dass es nicht nur eine Art der Langeweile gibt und warum sie nicht so schlecht wie ihr Ruf ist. Und zum Schluss warten auch noch meine TOP 3 Tipps gegen Langeweile!

Was ist Langeweile?

Langeweile ist ein Begriff, der so in unserem Alltag etabliert ist, dass wir uns kaum Gedanken darum machen. Doch schauen wir genauer hin.

Langeweile ist ein „als unangenehm, lästig empfundenes Gefühl des Nicht-ausgefüllt-Seins, der Eintönigkeit, Ödheit, das aus Mangel an Abwechslung, Anregung, Unterhaltung, an interessanter, reizvoller Beschäftigung entsteht“.

duden.de

Bereits in mittelalterlichen Schriften ist von der „Tristitia“ die Rede und noch heute ist der Begriff der „Melancholie“ (Planz 1996:11) vielen ein Begriff. Ein Blick in einschlägige Fachliteratur bezeugt Belege aus dem 17. Jahrhundert, in der von dem gelangweilten Adel die Rede ist (Bellebaum 1990:13). Das deutsche Wort „Langeweile“ ist jedoch erst seit dem 18. Jahrhundert in Gebrauch. Dabei beschreibt Langeweile jedoch immer etwas anderes, was vom jeweiligen kulturellen Normsystem abhängig ist. Wo die Langeweile ihren Ursprung hat, ist umstritten. Im Mittelalter warfen die einfachen Bürger dem Adel Nutzlosigkeit als Grund der Langeweile vor, während der Adel in der Langeweile ein Zeichen für fehlende Intelligenz und Kreativität sahen. Einen Einfluss scheint auch die Technologisierung der Zeit zu haben, denn seitdem wir Zeit messen können, wissen wir, wie langsam beziehungsweise schnell sie verstreichen kann.

Seit den 20ern ist bekannt, dass Langeweile aus Situationen resultiert, denen wir nichts abgewinnen können, in denen wir uns „gefangen“ fühlen“ (vgl. Barbalet 1999: 633ff.). Langeweile kann auch aus dem Bedürfnis nach Unterhaltung entstehen, die in der gelebten Situation nicht erreicht wird (Eastwood u.a. 2012: 487ff.) Dabei ist Langeweile in jedem Fall subjektiv. Denn während Spaziergänge einen Menschen langweilen, inspirieren sie andere zu neuen Denkanstößen.

Die vier Arten der Langeweile

Langeweile ist jedoch nicht gleich Langeweile, denn das Spektrum reicht von inspirierend bishin zu einer pathologischen Langeweile, die in professionelle Hände gehört. Martin Doehlemann unterscheidet zwischen vier verschiedenen Arten der Langeweile:

  1. die situative oder auch Gelegenheitslangeweile: Diese Langeweile zeigt sich in Wartesituationen beim Arzt oder an der Kasse oder auch wenn wir in der Warteschleife am Telefon festgehalten werden. Auch spontane Freiräume zählen zu dieser Art der Langeweile.
  2. einer überdrüssigen Langeweile, die durch öde Teile des Arbeitsalltags oder andere unterfordernde Aufgaben entsteht
  3. die existenzielle Langeweile, bei der ich mich selbst als Individuum langweile oder die Sinnhaftigkeit im Sein anzweifle. Doehlemann bezeichnet diese Form der Langeweile als ernstzunehmenden Zustand, der im Ernstfall in medizinische Hände gehört.
  4. einer schöpferischen Langeweile, die eher als positive Ruhe vor dem Sturm wahrgenommen werden kann. Aus ihr entsteht Kreativität und Innovation, weil der Geist im Leerlauf zur Inspiration angeregt wird.

Was passiert im Körper?

Forscher der Universität Waterloo haben versucht herauszufinden, was im Körper passiert, wenn Menschen sich langweilen. Dafür mussten die Probanden 4 Minuten ein Video über sich ergehen lassen, auf dem Menschen dabei zu beobachten waren, wie sie Wäsche aufhängen – langsam und akribisch. Die Forscher fanden in ihrer Untersuchung heraus, dass das Herz der Zuschauer trotz der gefühlten Langeweile schneller schlug und der Körper Stresshormone ausschüttete – dieselben Hormone wie in Prüfungssituationen. Gleichzeitig waren sie jedoch mental vollkommen angeödet. Der Körper war hellwach, während der Geist immer träger wurde. Wir erleben Langeweile also als angespannten Zustand der Einöde. Der Soziologieprofessor Martin Doehlemann beschreibt Langeweile als „unruhigen Stillstand„.

Menschen, die sich langweilen, versuchen mit aller Macht, an dieser Situation etwas zu ändern. Der Sozialpsychologe Wijnand van Tilburg und sein Kollege Eric Igou fanden sogar einen Zusammenhang zwischen Langeweile und der Neigung zu extremen politischen Einstellungen heraus. Wie gewichtig Langeweile hierbei ist, muss jedoch erst noch erforscht werden. Interessant bleibt jedoch der starke Drang danach, aus dieser Situation zu entfliehen. Kein Wunder also, dass gelangweilte Menschen diesen Zustand kaum bis gar nicht ertragen können und alles daran setzen, diesem Zustand wieder zu entfliehen.

Ideen gegen Langeweile, die dir wirklich helfen

Jetzt kommt das Kapitel, auf das du sicher die ganze Zeit gewartet hast: Meine Ideen gegen Langeweile. Im Internet kursieren vor allem seit Ausbruch der Pandemie unzählige Seiten, die mit Tipps gegen Langeweile werben. Dabei helfen diese meist nur gegen Gelegenheitslangeweile, denn unterteilen lassen sich diese Ideen gegen Langeweile vor allem in zwei Kategorien: Ordne und reinige deinen Haushalt oder suche dir ein neues Hobby. Ist das genau das, was dir in deiner jetzigen Situation helfen kann, kannst du dich auf Seiten wie Westwing von unzähligen tollen Ideen inspirieren lassen, denn hier wirst du definitiv fündig.

Taucht das Thema jedoch regelmäßig in deinem Leben auf, helfen dir vielleicht die folgenden drei Tipps:

Zuerst die Frage: Welche Art der Langeweile plagt dich?

Doch bevor die Lösung zum Greifen nah sein wird, solltest du genauer hinschauen. Denn nur, wenn du weißt, WAS dich langweilt, findest du eine Lösung aus dem Teufelskreis. In meinem Fall war es die Überforderung mit so viel ungewohnter freier Zeit, die ich nicht zu füllen wusste – also einer Gelegenheitslangeweile. Was ist es bei dir? Langweilt dich nur eine Aufgabe, deine aktuelle Situation oder sogar dein ganzes Leben?

Noch ein Rat von Herzen: Existentielle Langeweile gehört in gute Hände!

Hast du das Gefühl, deine Situation ist nicht nur temporär, sondern hat tiefer liegende Ursachen, werden die hier genannten Tipps nur kurzweilig oder vielleicht auch gar keine Wirkung erzielen. Ein Coach kann in diesen Situationen keine echte psychologische Unterstützung ersetzen. Hör auf dein Bauchgefühl und wenn du das Gefühl hast, deine Gefühle sind existientieller Natur, nimm dich und deine Situation ernst und scheue dich nicht, dich an vertrauensvolle Experten zu wenden. Denn Denn die hier genannten Tipps helfen dir nur gegen temporäre Gefühle.

Tipps gegen situative Langeweile

Gegen situative Langeweile hilft natürlich zunächst eins: Tue etwas! Das kann tatsächlich die Erledigung lästiger Arbeiten im Haushalt oder auch ein neues Hobby sein. Stellt dich das alles nicht zufrieden, habe ich folgenden Tipp, der zunächst banal klingt, es aber in sich hat:

Beginne eine Aufgabe, die du schon lange vor dir herschiebst!

Die Methode „Eat the frog“ funktioniert nämlich nicht nur gegen das Prokrastinieren, sondern vor allem auch wunderbar gegen Langeweile. Allerdings braucht sie etwas Überwindung. Übermannt dich die Langeweile, frage dich, welche To Do’s du noch auf deiner Liste hast, die du in genau diesem Moment erledigen kannst, die du schon lange vor dir herschiebst. Schreibe sie auf und wähle entweder gezielt oder auch mit Augen zu per Zufall eine der Aufgaben auf – und erledige sie. Du fühlst inneren Widerstand? Das ist ganz normal und vollkommen in Ordnung. Ist die Aufgabe sehr zeitaufwändig, kannst du sie auch in kleinere Schritte unterteilen und dir nur den ersten Schritt vornehmen.

Ich liebe diese Methode, weil sie genau zwei Dinge in dir auslöst: Zunächst kommst du überhaupt ins Handeln und treibt dich weg von den sozialen Medien oder anderen Beschäftigungen, die zwar die Zeit tot schlagen, aber keine Befriedigung bringen. Wir kennen dieses Phänomen häufig vom Aufräumen oder Putzen: Hast du ein Mal damit angefangen, nimmst du dir gleich noch weitere Aufgaben vor und am Ende erstrahlt alles in Hochglanz. Meine Oma hat gerne gesagt: „Der Appetit kommt mit dem Essen“ und so ist das auch bei allen anderen Beschäftigungen.

Der zweite große Vorteil: Eat the frog macht zufrieden. Ich stelle an mir selbst immer wieder fest, dass die Erledigung von Aufgaben, die ich lange vor mir herschiebe, unglaublich zufrieden macht – aber auch einiges an Überwindung kostet. Regelmäßig gehe ich mit meinem Schweinehund dann in ein Zwiegespräch. Ich habe für mich einen kleinen Trick entwickelt, mit dem es meistens klappt: Ich frage mich nicht, was DAFÜR spricht, das jetzt fix zu erledigen, sondern, was DAGEGEN spricht. Ist die Antwort „nichts“ oder „keine Lust“, zwinge ich mich, mit der Aufgabe wenigstens zu beginnen. Meist gönne ich meinem genervten Ich einen Augenroller und das vernünftige Ich legt dann los. Probier die Methode einfach aus und lasse mir einen Kommentar da, ob sie bei dir auch funktioniert.

Tipps gegen überdrüssige Langeweile

Schon etwas schwieriger ist die Überwindung überdrüssiger Aufgaben. Denn befindest du dich erst in diesem Hamserrad, kommen dir alle Aktivitäten öde und überflüssig vor. Kannst du die Aufgaben nicht delegieren, hilft häufig bereits eine Veränderung deines Settings. Bist du bei der Arbeit gelangweilt, kann schon ein anderer Arbeitsort helfen. Verlasse deinen gewohnten Schreibtisch und setz dich für einige Aufgaben an einen anderen Platz, zum Beispiel ein Cafe (sofern das möglich ist) oder eine Bibliothek oder probiere verrückte Orte wie den Küchenfußboden aus. Alles, was anders ist, kann Erleichterung verschaffen.

Und was tun bei schöpferischer Langeweile?

Mit dem richtigen Mindset lässt sich zwar keine Langeweile vertreiben, aber besser aushalten. Denn vielleicht entpuppt sich dein Zustand als schöpferische Langeweile und hält die nächste kreative Idee für dich bereit – sei es eine berufliche Innovation, die Lösung für ein Problem, über dem du schon lange grübelst oder auch einfach ein neugewonnenes Interessensgebiet. Um herauszufinden, musst du recht wenig und dabei doch so viel tun – nämlich nichts. Halte die Situation aus, akzeptiere die Stille und beobachte, was mit dir, deinem Körper und vor allem deinen Gedanken passiert. Wenn du nach 30 Minuten noch immer eher genervt als inspiriert bist, versuche dich an den anderen Tipps.

Denn so ist genau dieser Artikel hier entstanden 😉

Mein Fazit: Langeweile kann etwas Inspirierendes sein

Nach meiner Recherche stehe ich der Langeweile nicht länger als einem Feind gegenüber, denn sie zeigt mir ein Defizit auf. Entweder bin ich unzufrieden mit meiner Situation oder es schlummert eine Idee in mir, die nur auf einen langweiligen Moment wartet, um gesehen und umgesetzt zu werden. Alles, was ich dafür tun muss, ist genau hinsehen und mit mir und meinen Bedürfnissen achtsam umgehen!

Brauchst du noch mehr Tipps gegen Langeweile?

Dann komm zu mir ins Coaching und lerne mit praktischen Übungen, wie du mit Langeweile umgehen kannst und das Prokrastinieren der Vergangenheit angehört.

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