Viele Produktivitäts-Coaches sind der Meinung, dass erfolgreiche Menschen früher aufstehen müssen. Denn nur wer am Morgen bereits erste Erfolge feiert, der kann auch den restlichen Tag produktiv sein. Mit etwas Skepsis habe ich den Selbstversuch gestartet, um herauszufinden, was an dieser Aussage wirklich dran ist. Routinen benötigen in etwa 30 Tage bis sie sich gefestigt haben. Und so bin ich 30 Tage um 5 Uhr aufgestanden. Meine Erkenntnisse, welche Vor- und welche Nachteile diese neue Routine hat, findet ihr hier.
Dies hier ist eine Zusammenfassung der Challenge „30 Tage früher aufstehen“, die du hier ausführlicher nachverfolgen kannst.
Von Lerchen und Eulen
Dir werden die Bezeichnungen „Lerche“ und „Eule“ wahrscheinlich bekannt sein, denn damit bezeichnet man Menschen, die eher in den Morgenstunden oder eher in den Abendstunden wach sind. Wissenschaftler nennen das „Chronotypen“.
Erstaunlicherweise gibt es nicht nur schwarz und weiß, denn es gibt Chronotypen in ihrer Extremform und in vielen abgeschwächten Formen. Die extreme Lerche steht um 5 Uhr auf, die „normale“ begnügt sich mit einer Weckzeit gegen 8 Uhr. Dagegen kommt die extreme Eule erst gegen Mittag aus dem Bett und die „normale“ Eule steht bereits um 11 Uhr auf.Die meisten Menschen gehören keiner der beiden Extremformen an, sondern gehören zu den Mischformen. So entsteht ein individueller Biorhythmus.
Dieser Rhytmus ist nicht beeinfluss- oder veränderbar. Jedoch haben Studien gezeigt, dass vor allem die Pubertät und das hohe Alter einen Einfluss auf unseren Chronotypen haben. Die Pubertät verbraucht viel Energie und lässt junge Menschen länger schlafen, während Rentner gerne früher als in den Jahren zuvor auf den Beinen sind. Dabei steht eine 80jährige Eule jedoch noch lange nicht um 5 Uhr auf, sondern vielleicht um 8 Uhr, während sie in jüngeren Jahren gerne bis 10 Uhr geschlafen hat.
Wann du in deinem Alltag tatsächlich aufstehst, hängt jedoch leider selten von deinem Biorhythmus ab. Denn externe Faktoren wie Vorlesungen, der Job oder auch andere Termine zwingen uns ihren Zeitstempel auf. Deinen Biorhythmus zu wissen, ist dennoch hilfreich. Denn wenn du weißt, wann du im Laufe des Tages am leistungsstärksten bist, kannst du deinen Tag besser daran ausrichten.
Die Sonne, Menschen und die Regelmäßigkeit geben den Takt vor
Wusstest du, dass Menschen auch ohne äußeren Zeitgeber ihren Tagesrhythmus einhalten? Studien belegen, dass auch Menschen, die keinen Zugriff auf eine Uhr haben, einen Schlaf-wach-Rhythmus einhalten. Der liegt jedoch selten bei genau 24 Stunden, sondern etwas darüber oder darunter.
Da das Sonnenlicht uns jedoch einen 24-Stunden-Rhythmus vorgibt, folgt der Mensch diesem „Zeitgeber„. So nennt man Anhaltspunkte für unser Zeitgefühl. Insgesamt gibt es davon drei, wobei wir die Uhr auslassen, denn sie ist kein „natürlicher“ Zeitgeber, sondern ein Hilfsmittel, das der Mensch entwickelt hat. Neben der Sonne, unserem wichtigsten Zeitgeber, sind die Menschen, die uns umgeben, ein weiterer Zeitgeber. Mit ihnen interagieren wir im wachen Zustand und werden auch in der Gemeinschaft müde. Kennst du das Gähn-Phänomen? Gähnt in deiner Nähe ein Mensch, der dir sympathisch ist, gähnst du wie fremdgesteuert mit. Probier es aus! Unsere Mitmenschen sind sogar für unser Zeitgefühl wichtiger, als den meisten von uns bewusst ist.
Der letzte Zeitgeber ist die Regelmäßigkeit. Denn Menschen leben und lieben Routinen. Haben wir Routinen erst einmal verinnerlicht, halten wir sie ein, ohne darüber nachzudenken. Schlafen wir täglich um die gleiche Uhrzeit ein, merkt sich der Körper diesen Rhythmus und der Mensch wird auch an den folgenden Tagen um die gleiche Zeit müde.
Die Vorteile vom früher aufstehen
Das frühe Aufstehen hat viele Vorteile, weshalb es von Produktivitäts-Coaches gern als das Nonplusultra angepriesen wird. So soll das frühe Aufstehen die Produktivität ankurbeln und den Tag wie ein Rocky-Trainingsprogramm in viele produktive Einheiten gliedern. Durch mein Experiment kann ich das nur bestätigen. Tatsächlich war ich in den frühen Morgenstunden so produktiv und konzentriert wie nie zuvor. Denn wenn die Welt noch schlief, habe ich Mails beantwortet und meine Projekte verfolgt, Sport getrieben oder auch einfach nur ein gutes Buch gelesen.
Dieses zufriedene Gefühl darüber, bereits etwas geschafft zu haben, hielt für den Rest des Tages an und hatte (sofern ich ausgeschlafen war) auch Auswirkungen auf meine Abendstunden. Denn wer hoch motiviert durch den Tag geht, hat am Abend noch die nötige Energie für den Haushalt oder kleinere Aufgaben. Was mich sehr überrascht hat, war die Menge an erledigten Aufgaben am Ende eines Tages. Schnell bleibt in meinem Alltag eine lästige Aufgabe liegen, nachdem bereits andere erledigt waren. Müdigkeit oder ein stressiger Tag waren willkommene „Begründungen“, die Aufgaben auf den nächsten Tag zu verlegen. Da ich meine Aufgaben jedoch in meiner produktiven Phase erledigen konnte, war insgesamt am Ende des Tages mehr geschafft als sonst.
Ich erkläre mir das folgendermaßen: Durch das frühere Aufstehen hatte ich am Morgen etwas mehr und dafür am Abend etwas weniger Zeit. Effektiv hatte diese Teilung keine Auswirkungen auf die Zeit, die ich für Freizeitaktivitäten zur Verfügung hatte. Doch die Zeitabschnitte waren nun viel kürzer um Sport zu treiben oder wichtige Aufgaben zu erledigen. Durch den Zeitdruck war ich motivierter, diese wenige Zeit auch zu nutzen.

Die Nachteile
Jede Medaille hat zwei Seiten und so hat das frühe Aufstehen auch seinen Nachteil. Denn wer morgens früh auf den Beinen ist, kann abends nicht lange wach bleiben. Tage, an denen ich mit Freunden verabredet war, endeten dann folglich in einer zu kurzen Nacht und in einem am Tag folgenden Horror durch den fehlenden Schlaf. Denn um auf meine sieben bis acht Stunden Schlaf zu kommen, musste ich spätestens 22 Uhr die Augen geschlossen haben. Doch mal ehrlich: Welcher Kinobesuch und welcher Abend mit Freunden endet so früh? Wer nicht mit Menschen befreundet ist, die ebenfalls früh aufstehen, ist so regelmäßig verleitet, Raubbau am eigenen Körper zu betreiben, was der Produktivität eher hinderlich ist.
Ein entscheidender Nachteil am frühen Aufstehen ist die geforderte Disziplin – und in meinem Fall der Kaffeeverbrauch. Denn der stieg nach jeder zu kurzen Nacht erheblich an. Für Kneipenabende oder Verabredungen bis spät in die Nacht bleibt Frühaufstehern wenig Raum. Um dieses Defizit auszugleichen, habe ich es in meinem Selbstversuch mit einem kleinen Kniff versucht und bin am Wochenende später aufgestanden.
Studien zeigen jedoch, dass auch dieser kleine Trick seine Tücken hat. Laut einer Studie der Universität Pittsburgh ist das Ausschlafen am Wochenende beziehungsweise ein unregelmäßiger Schlafrhythmus gesundheitsgefährdend. 447 Männer und Frauen wurden zunächst auf ihre Ess- und Sportgewohnheiten hin befragt und dann deren Schlafgewohnheiten aufgezeichnet. Etwa 85% der Probanden veränderten an arbeitsfreien Tagen ihren Schlafrhythmus. Das erhöhe nach Meinung der Forscher das Risiko für Herzerkrankungen und Diabetes. Ebenfalls steigen die Cholesterinwerte und das Insulinniveau. Menschen, die unregelmäßig schlafen, neigen der Studie nach zu einem höheren Body-Mass-Index, der der Studie nach auch nicht durch Sport ausgeglichen werden kann. Und so lassen sich die Nachteile des frühen Aufstehens auch nicht am Wochenende ausgleichen. Nachteil bleibt Nachteil.
Mein Fazit zum früher aufstehen
Früher aufstehen hat sich für mich nach 30 Tagen tatsächlich bewährt. Denn die freie Zeit am Morgen möchte ich heute nicht mehr missen. Die Umstellung war wahnsinnig schwer. Von einem Kaltstart, wie ich ihn gewagt habe, rate ich dringend ab. Wer zum prokrastinieren neigt, ist bei einer derart drastischen Umstellung schnell verleitet, das Vorhaben zu verschieben oder sogar abzubrechen.
Einfacher ist eine schrittweise Veränderung im 15 bis 30 Minuten-Takt bis zur gewünschten Weckzeit. Die optimale Weckzeit hängt stark von der Tagesstruktur ab. Sport am Morgen benötigt weit mehr Zeit als eine kurze Meditation. Es lohnt sich in jedem Fall, sich morgens genügend Zeit für unangenehme Aufgaben und eine ordentliche Morgenroutine zu nehmen. Der Versuch ist nun 2 Wochen her und der Wecker klingelt morgens um 5.30 Uhr. So bleibt mir noch immer genügend Zeit für meine Morgenroutine und der Abend endet nicht nach einem halben Kinofilm. Kneipenabende haben noch immer ihren Preis, doch den bin ich ab und zu bereit zu zahlen.

Starte den Selbstversuch
Bist du nun hoch motiviert und willst auch endlich früher aufstehen oder schrecken dich die Nachteile ab? Wenn du nicht sicher bist, ob der neue Rhythmus zu dir passt, kannst du es einfach ausprobieren. Du kannst dir im Vorfeld auch folgende Fragen stellen, um herauszufinden, ob der neue Rhythmus zu dir passt:
- Bist du eine Lerche oder eine Eule? Bei welcher Weckzeit fühlst du dich so richtig ausgeruht?
- Passt das frühe Aufstehen zu deinem „Standard-Tag“? Bist du noch häufig in den Abendstunden aktiv oder arbeitest du am liebsten in den Morgenstunden?
- Möchtest du auch am Wochenende früh aufstehen?
- Mache dir bewusst, weshalb du früher aufstehen möchtest. Die richtige Motivation ist die halbe Miete.
Egal, ob du Frühaufsteher oder Langschläfer bist, lohnt sich ein Blick auf die eigenen Schlafgewohnheiten. Bist du morgens gestresst und startest den Tag mit schlechter Laune und Zeitdruck, versuche deine Weckzeit zu verändern. Häufig reichen bereits 15 bis 30 Minuten früher aufstehen schon aus, um Zeit für Yoga, Frühstück, wichtige To-do’s oder auch ein gutes Buch zu haben.
Vielleicht hat dich mein Experiment inspiriert, es selbst zu versuchen? Dann starte doch gleich morgen! Ich bin gespannt auf eure Erfahrungen in den Kommentaren.